Wieder ein Jahreswechsel

 
 

Die Verpflichtung, zum Jahreswechsel sich aus der Versenkung heraus wieder einmal zu melden, um anzuzeigen: „Ja, ich lebe noch!“ ist eine Übung, der man alljährlich zu entkommen sucht, die einen aber dennoch einholt, weil es so viele liebenswerte Menschen gibt, die Grüße senden, bisweilen mit nicht mehr Inhalt versehen als mit obigem ja-ich-lebe-noch. Einige benutzen neben der digitalen Straße sogar noch die altmodische, aber schöne Art des Haptischen, also des Papieres, das man deshalb besonders deshalb schätzt, weil man weiß, dass dahinter Zeitaufwand steckt: der des Schreibens, der des Eintütens in einen Umschlag, der des Tragens in einen der selten gewordenen Briefkästen.

Dass ich mich dennoch des neumodischen Weges bediene, ist eigentlich nicht zu entschuldigen bzw. nur dadurch mit bedauerndem Achselzucken zu erklären: ich habe durchgearbeitet (und tue es bis morgen); während der sehr wenigen freien Tage holte sich der alte Adam das Recht auf Schlaf. Ich wusste noch nicht, dass man es tatsächlich schafft, in einem warmen kleinen Wohnwagen (meinem geliebten Wohn-Ei) Weihnachten und all seine Pseudobotschaften auf diversen Parkplätzen des Nordens im Sturm zu verschlafen. Aber es geht; dann hat man auf all den vielen Durchreisen, aus denen das vergangene Leben besteht, wenigstens kurzfristig das Gefühl von „Heimat“.










Wie dem auch sei: gefreut habe ich mich über jede einzelne Botschaft aus Eurer Welt. Ich weiß zwar oft nicht, wie es Euch geht, aber ich weiß durch die Grüße, dass es Euch gibt – und das ist gut so.


Mein eigenes Jahr (ich hab’s überlebt!) in Kurzform: ich entschloss mich, weiter zu leben und die Konsequenzen daraus zu tragen. Zwischen sehr glücklichen Momenten und totaler Verzweiflung in Vereinsamung (mit Alkohol gelindert) fand das/mein Leben statt. Etliche Unfälle, darunter ein komplizierter Beinruch, hinderten mich aber nicht, mich meines Lebens wirklich zu freuen. Der spontane Entschluss, direkt nach einer OP einen Wohnwagen zu erstehen und damit in 10 Tagen 3 ½-tausend km durch Schweden zu touren, war eine gute Entscheidung. Und so behielt ich es bei: ich lebte meine Freiheit in allen Facetten aus. Was ich für richtig hielt, tat ich – vernünftig war es nicht immer, aber schön.

Die Erkenntnis: nicht die musica war die Ursache für meine Schwächen wie Infarkte, Depressionen etc., sondern die sog. Szene. Diese Erkenntnis machte frei, richtig frei – und ich nahm trotz Rentnerdaseins meinen Beruf wieder auf. Vernünftig ist das nicht, aber schön.

Die Konzerte nehmen nach der erzwungenen Pause wieder deutlich zu, und sie sind gut. Sagt man jedenfalls. Zumindest steckt die Musik die Hörer an, und sie hören weniger auf die sog. „Kunst“ als auf die Sprache des Herzens, die die Musik ja in erster Linie darstellt – und auf das melancholische Verstreichen der Zeit, das sich in jedem erlöschenden Klang manifestiert. Quid restat – nihil (was bleibt, ist nichts) - - - bis auf das Gefühl des Trostes.


Im Sommer bekam ich in der Klinik von einem lieben Menschen einen Engel aus geschliffenem Glas geschenkt, der mich seither ständig auf den Reisen begleitet. Ich sende ein Bild mit, aufgenommen am vergangenen 1. Weihnachtstage. Der Engel zeigt alles, was an Licht auf ihn trifft, als Spiegelbild wieder – aber: es ist kein wahres Spiegelbild, sondern ein gebrochenes, ein anderes, ein neues, ein verändertes. Das fand ich irgendwie gut: alles aufzunehmen und zu verändern.

Das nennt man Bewegung – und das führt weiter in die Zukunft, von der wir nicht einmal ahnen, wie sie sein wird. Und dann: Heimat. Der Segen der Provinz, die ich in ihrem Detailreichtum so sehr liebe: „provinciae radix mundi – die Provinzen sind die Wurzeln/der Nährboden für den Erdkreis“, übertitelte ich das Geleitwort für eine übernommene Schirmherrschaft.


Etwas ganz Konkretes zum Schluß: sehr freute ich mich über den Fasch-Preis der Stadt Zerbst, da ich damit nicht gerechnet hatte und den ich deshalb mit Stolz trage. Es ist mir einfach wichtig, dass neben dem verd... Mainstream das Lebens- und Liebenswerte erhalten bleibt. Der Fasch-Preis ist deshalb für mich etwas sehr Kostbares.

So, jetzt reicht es. Ich habe wenig erzählt darüber, wie mein Jahr war, aber das ist auch nicht so interessant; es war jedenfalls sehr lebendig – und das lässt mich für das bisschen Zukunft, das ich noch habe, getrost sein und hoffen.


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Sonntag, 3. Januar 2016

Was auch immer...

 
 

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